Als wir im Herbst 2000 ins Tierheim Münster fuhren, galt die Reise einer jungen weißen Schäferhündin, die ich dort eine Woche zuvor gesehen hatte. Die Hündin war bereits vermittelt. Enttäuscht gingen wir noch einmal die Gänge entlang. Hinter einer der Zwingertüren machte ein kleiner, ebenso pfiffiger wie zielstrebiger Rauhhaardackelmischling unüberhörbar auf sich aufmerksam: Er drückte sich ans Gitter, forderte Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten und mehr davon... Meine Freundin und Kollegin Lizzy, mein Freund Thorsten und ich, wir alle drei waren uns spontan einig - dieser kleine Frechdachs trug ein Schild um den Hals, auf dem stand: "Mutters Hund"!
Unseren Charlie, den Rauhhaardackel meiner Mutter, hatten wir ein Jahr zuvor verloren, nachdem er im Alter von bald 13 Jahren epileptische Anfälle bekommen hatte. Innerhalb von wenigen Stunden hatten sich die Abstände rapide verkürzt. Gehirntumor. Wie so viele Rauhhaardackel war Charlie eine ebenso anhängliche wie selbstbewußte und eigenwillige Persönlichkeit, die wir sehr vermißten.
Nach abendlicher Familienrunde und Diskussion aller Für und Wider waren wir am nächsten Tag wieder in Münster, dieses Mal gemeinsam mit meiner Mutter. Wen nimmt es wunder, daß wir zwei Stunden später heimfuhren, nunmehr in Gesellschaft eines neuen Familienmitglieds. Ein großes Lob diesem Tierheim, das Menschen und Bewohnern regelmäßig gemeinsame Spaziergänge ermöglicht. "Drum prüfe wer sich ewig bindet"... Die Hunde bleiben körperlich, geistig und sozial beweglich, Vierbeiner und Menschen können sich ausreichend beschnuppern, ehe weitreichende Entscheidungen getroffen werden, und schließlich müssen auch diejenigen Hundeliebhaber, die keinen eigenen Tiere (mehr) bei sich aufnehmen können, auf vierbeinige Gesellschaft nicht ganz verzichten.
Über Moritz' Vergangenheit war wenig zu erfahren. Offenbar war er von Polizei oder Ordnungsamt ins Tierheim gebracht worden, nachdem der vorherige Besitzer, ein älterer Herr, verstorben war. Verwandte oder Freunde waren nicht bekannt, jedenfalls keine, die sich um den Hund hätten kümmern wollen.
Typisch Rauhhaardackel, ist auch Herr Rietzens ein spezieller Charakter. Seine neue Heimat hat er Rute und Ohren ganz hoch, voller Neugier und mit ungebrochenem Selbstbewußtsein auf das Genaueste erkundet. Seinem Selbstverständnis nach ein Herkules und Goliath, ist er gleichzeitig ein echter Schmusehund, temperamentvoll, aufmerksam und lernwillig, nähebedürftig und gelegentlich geplagt von Verlassensängsten. Unterwerfung ist ihm wesensfremd, Herr Rietzens besteht auf höflicher, liebevoller und sehr konsequenter Ansprache.
Tagsüber leisten sich Herr Rietzens und unsere Mutter Gesellschaft, abends teilt Moritz Heim, Bett und Menschen mit seiner weißen "Heimsuchung", Samun. Vom weißen Riesen bedrängt, kann er schon mal ohrentäubend und trommelfellstrapazierend keifen und schnappen, immer sicher am Ziel vorbei. Samun läßt sich vom lautstarken Protest weder beeindrucken noch provozieren, er dreht rechtzeitig den Kopf zur Seite, wartet ein, zwei Minuten und nimmt sich im geeigneten Moment, was er keinesfalls haben sollte. Auf ihre eigene Art verstehen sich unsere beiden ungleichen Geschwister beeindruckend gut. Sie kennen und respektieren ihre gegenseitigen Grenzen. Auf der Hundewiese toben sie regelmäßig gemeinsam mit den beiden Nachbarshunden, der Gordon Setter-Lady Ela und dem schwarzen Labrador und Namensvetter Moritz, und all den anderen Hunden über die Wiesen und durch die Ruhr. Wieder daheim, ruht Samun auf Rietzens kleinem Hundesofa, während Rietzens sich im großen Hundekorb aalt. Und zur abendlichen Schmuse- und Streichelstunde kuscheln sie sich aneinander und genießen...
Irmhild Wojak, August 2002
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